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Weihnachtsbrief 2021

Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Sterns der Hoffnung,

es gibt nichts Schöneres als den Augenblick, wenn die Sonne untergeht und in die Lagune fällt. Dann kühlt die Dämmerung den Abend auch in Cotonou, im heißen Benin. Doch Claudine kann diesen Zauber nicht spüren. Sie schaut in das brackige Wasser, in dem sie die schweren Sorgen des letzten Jahres ertränken möchte. Ihre älteste Tochter verstarb an AIDS, so wie ihr Ehemann nach einer langen Agonie. Ihr eigener Test ist positiv ausgefallen. Als wäre all dies nicht schon zu viel, erwies sich nun auch der HIV-Test ihrer jüngsten Tochter Henriette als positiv. Wenn sie nur darüber reden könnte!

AIDS ist in Benin nicht nur eine Krankheit – es ist ein Makel, der auf keinen Fall sichtbar werden darf. Davon zu sprechen, bringt Unheil. Was sie am meisten quält, ist der Brauch des Levirats, der in der Familie ihres Mannes sehr verbreitet ist und sie verpflichtet, seinen Bruder zu heiraten. Dieses Gesetz soll Witwen und Waisen schützen. Doch Claudine weiß, dass das einzige Interesse darin besteht, sich das Haus am Wasser anzueignen, das sie erben würde. Ihr Schwager hat bereits zwei Ehefrauen. Wie soll sie die Ansteckung der neuen Familie vermeiden können? Und wie soll sie ihren HIV-Status geheim halten?

Claudines Gedanken jagten in immer sinnloserem Kreisen in ihrem Kopf. Sie sah keinen Ausweg mehr. Bis ein Stern über ihrer Hütte stehen blieb. NUKUNDIDO, dieser Stern der Hoffnung, kam ihr in Form eines Gesundheitsteams zu Hilfe. Sie begann zu verstehen, dass AIDS keine dämonische Macht besitzt. Sie hat angefangen, mit dem HI-Virus zu leben und AIDS wie eine chronische und behandelbare Krankheit zu betrachten. Was für eine Erleichterung zu wissen, dass ihre Tochter überleben und eine eigene Existenz aufbauen wird. Und was für eine Erleichterung zu erfahren, dass das Levirat und die Polygamie nach beninischem Recht seit 2007 verboten sind.

Claudine und Henriette sind nicht mehr allein mit ihren Ängsten. Sie sind in eine der MAGNIFICAT-Gruppen integriert und können bei den Treffen ihre Herzen von der Last der tödlichen Geheimnisse befreien. Sie verfolgen ihre Therapie sehr genau. Und sie verkaufen auf den Straßen von Cotonou Eiswasser in Tüten. Henriette strahlt, wenn sie auf das Meer hinausschaut.

Auch auf der anderen Seite des Atlantiks gibt es im Dunkel der Armenviertel im Osten von São Paulo eine ›Casa esperança‹, ein ›Haus der Hoffnung‹. Alle, die darin Zuflucht finden, haben im Schatten gelebt. Sie sind von AIDS gezeichnet und sie sind schwer behindert. Sie hatten einen schlechten Start ins Leben und die Erinnerungen an ihre kaputte Kindheit quälen sie. Oscar wird nicht müde zu erzählen, was es bedeutet, wenn schon die eigene Geburt eine Tragödie ist.

Sein Vater lebte in der kargen Landschaft im Nordosten Brasiliens. Als seine Frau in die Wehen kam, wollte er eine Hebamme finden. Auf dem Weg dahin baute er einen schweren Unfall, der ihn das Leben kostete. Da Oscars Mutter auf dem unwirtlichen Boden, den sie vergeblich bearbeitete, keine Zukunft sah, suchte sie ihr Glück in São Paulo. Wie bei allen Immigranten aus dem Norden waren ihre Ersparnisse zu gering, um sich eine anständige Wohnung leisten zu können.

Oscar wuchs im Schmutz einer bedrückend engen Favela auf. Als er laufen konnte, zog er die Straße vor. Gaunereien, Drogen und endlose Streitereien füllten seine Tage. Ob er seinem Leben ein Ende setzen oder auf dem Dach eines Zuges einfach nur kostenlos mitfahren wollte, weiß niemand. Er ist vom Dach des Zuges gefallen. Mit gebrochenen Rippen, einem gequetschten Bein, inneren Blutungen und einem positiven HIV-Test brachte ihn die Polizei in eines der vom ›Stern der Hoffnung‹ mit aufgebauten Hospizen. Alle glaubten, dass er zum Sterben dahin gekommen sei. Doch Oscar fand in der ›Casa esperança‹ sein Leben, das er stets mit ca. vierzig anderen teilt. Er scheint jeden Tag zu feiern.

In Benin, wie auch in Brasilien, öffnet der ›Stern der Hoffnung‹ einen Raum des Lebens für viele, die vom Leben ausgeschlossen werden.

Henriette hat ihr tiefes Lächeln wiedergefunden. Und Oscars übermütiges Lachen erfüllt seit 29 Jahren das ganze Hospiz. Ist es nicht die Freude, die uns mehr als alles andere verbindet?

Voll Dankbarkeit wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein inniges Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr.


Lisette Eicher

Stern der Hoffnung
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